Dieser Artikel ist mein Beitrag zur Blogparade von Nicole Krüger. Unter diesem Link kannst du selbst mitmachen. Es gibt schon viele Beiträge, die alle viele wertvolle Tipps enthalten.
Ich sehe das Thema jedoch ein bisschen anders. Darum schreibe ich diesen Artikel und gebe dir hier meine 10 Tipps für nachhaltigeres Reisen und Leben.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Gestalte deine Reisen nachhaltiger.
- 2. Reflektiere.
- 3. Hinterfrage Nachhaltigkeit beim Reisen und in deinem Leben.
- 4. Definiere Nachhaltigkeit für dich, dein Reisen und dein Leben.
- 5. Mache dir deine Privilegien bewusst.
- 6. Scheue Radikalität nicht.
- 7. Achte gut auf dich.
- 8. Resigniere nicht.
- 9. Sieh dich als Teil der Natur und die Natur als Teil von dir.
- 10. Erkenne die Komplexität des Themas an und wie wenig wir wirklich verstehen und wissen können.
- Bonus-Tipp: Pflanze einen Garten an und erneuere fruchtbaren Boden.
- Weiterführende Links
1. Gestalte deine Reisen nachhaltiger.
Es gibt so einige Dinge, die du für eine nachhaltigere Reise tun kannst. Die Klassiker, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Vermeidung von Plastikflaschen zu tun haben, lasse ich hier mal weg. Die sind ja schon zur Genüge reproduziert worden.
Eine Reise wird jedoch auch dann nachhaltiger, wenn du langsamer unterwegs bist und länger an einem Ort bleibst. Das führt einerseits zu einer besseren Umweltbilanz. Vor allem wirst du dein Reiseland jedoch viel intensiver erleben.
Tiefere Reiseerlebnisse wirken länger nach, sodass du nicht sofort nach deiner Rückkehr wieder Fernweh bekommst. Sorge also dafür, dass deine Reise so lange wie möglich nachwirkt.
(Wie das gehen kann, erfährst du ab Montag beim ReiseRückkehrRetreat.)
2. Reflektiere.
Neben den praktischen Dingen geht es mir hier beim Achtsam Reisen Festival auch immer um die mentale Vorbereitung und Verarbeitung einer Reise.
Vor jeder Reise – und eigentlich auch täglich im Alltag – beobachte ich mich genau.
Besonders vor Reiseantritt kannst du einmal deine Erwartungen erforschen. Das ist immer die erste Übung in jedem neuen Reisetagebuch. Was ist deine allgemeine Einstellung zu deinem Reiseland? Und dann erforsche mal, woher die kommt. Das wird dein Verhalten auf Reisen enorm beeinflussen.
Wer vorher auch unbewusst manchmal wie ein kleiner Bulldozer unterwegs war, wird nach dieser Übung sehr wahrscheinlich sensibler, achtsamer und dadurch auch respektvoller reisen. Solche Menschen sind gern gesehene Gäste und dürfen schon eher wiederkommen.
Du läufst also weniger Gefahr, die Gastfreundschaft vor Ort auszunutzen und die Sicht der Menschen vor Ort auf den Tourismus zu vergällen. Sprich: Deine Reise wird nachhaltiger.
3. Hinterfrage Nachhaltigkeit beim Reisen und in deinem Leben.
Das Konzept der Nachhaltigkeit, wie wir es heute kennen, stammt aus dem 18. Jahrhundert. Wir alle denken, dass Nachhaltigkeit eigentlich irgendwie auf jeden Fall etwas “Gutes” sei. Dabei versteckt sich hinter so manchen “nachhaltigen” Handlungsweisen blanker Postkolonialismus.
Von umweltzerstörerischen Soja-Plantagen für vegane Produkte, über teure Eco-Lodges, die an der Lokalbevölkerung vorbeiwirtschaften, bis zu ausbeuterischen Minen für Teile in E-Autos:
Was als nachhaltig angepriesen wird, ist es oft nicht. Beziehungsweise bedeutet mir persönlich die Betonung der Nachhaltigkeit heute nichts mehr. Ich empfinde es nur noch als Greenwashing.
Der Aktivist und Philosoph Ailton Krenak hält nichts vom Konzept der Nachhaltigkeit. Es hat für ihn postkoloniale Züge:
Die Bedeutung des Konzeptes liegt in der Rechtfertigung eines Ausbeutungsmodells. Wie kann man die Ausbeutung unendlich fortführen? Durch die Einführung der Nachhaltigkeit, die allein wirtschaftlich definiert wird. So wird es immer weitergehen, bis zur Erschöpfung.
Ailton Krenak im Interview bei RiffReporter
Beim Reisen spielt unter anderem die CO2-Kompensation eine wichtige Rolle. Ich hinterfrage den Emmissionhandel schon lange. Meiner Meinung nach ist das Augenwischerei. Denn ob nun finanziell kompensiert oder nicht: in der Luft ist das CO2 ja trotzdem, in einer Welt, in der wir CO2 reduzieren müssen, nicht kompensieren.
Die Deutsche Umwelthilfe hält Begriffe wie „klimaneutral“, „CO2-neutral“ oder gar „klimapositiv“ generell für irreführend und eine Verbrauchertäuschung zulasten des Klimas.
DUH-Kritik zu Werbeversprechen mit Klimaneutralität
Greta Thunberg fand ich immer toll und mutig. Irgendwie fing doch die ganze Fridays for Future Bewegung erst mit ihr so richtig an, dachte ich. Ein junges Mädchen, das den Klimawandel ins Scheinwerferlicht rückte.
Und dann fand ich heraus, dass es schon viele Frauen und Männer vor ihr gab, die
- erstens selbst direkt unter dem Klimawandel litten (was man von Greta in Schweden nicht unbedingt sagen kann),
- die zweitens also nicht nur für den Umwelt- und Klimaschutz, sondern auch ums Überleben kämpften,
- die drittens durch ihre indigene Lebensweise sehr gute Lösungsansätze gegen den Klimawandel zu bieten hatten,
- und die viertens dafür jedoch missachtet, bestraft und sogar getötet wurden.
Hier sind ein paar Namen, zu denen ich dich herzlich einlade, weiter zu recherchieren.
- Berta Cáceres, Aktivistin aus Honduras, kämpfte für Umweltschutz und die Rechte der indigenen Bevölkerung und wurde 2016 ermordet.
- Winona LaDuke, Umweltschützerin und Politikerin aus den USA, kämpft u.a. für Landrechte der Native Americans.
- Eriel Deranger, Klimaaktivistin und Geschäftsführerin der Indigenous Climate Action aus Kanada.
- Umweltaktivist_Innen der Sami aus Skandinavien
All diese Punkte machen es für mich persönlich inzwischen schwierig, blind alles zu unterschreiben, zu preisen oder zu feiern, wo Nachhaltigkeit draufsteht.
4. Definiere Nachhaltigkeit für dich, dein Reisen und dein Leben.
Stattdessen versuche ich, zu formulieren, was nachhaltigeres Reisen und Leben für mich selbst bedeuten könnte. Es gibt zum Beispiel das Prinzip der sieben Generationen, das mir gut gefällt. Das ist ein ziemlich hoher Anspruch:
Jede meiner Handlungen danach auszurichten, ob sie den drei Generationen vor mir, meiner eigenen und den drei Generationen nach mir gerecht werden.
Da ist es nicht damit getan, auf festes Shampoo umzusteigen und nur noch Jutebeutel zu verwenden.
Das Konzept der Nachhaltigkeit ist für mich größer. Und auch spiritueller als ein Unverpackt-Laden.
In einer Gesellschaft, in der das Prinzip der sofortigen Befriedigung (instant gratification) zum Standard geworden ist, ist das eine verdammt schwere Aufgabe.
Nachhaltigkeit muss nicht zu deinem Aushängeschild werden. Überlege einfach konkret, wie radikal du werden musst und kannst.
5. Mache dir deine Privilegien bewusst.
In meiner Definition macht Nachhaltigkeit also nicht immer nur Spaß.
Reisen ist ein Privileg, das nur sehr wenige Menschen auf der Welt haben. Ich erinnere mich bei jeder Reise daran, dass es nicht mein Verdienst ist sondern allein die Tatsache, dass ich einen deutschen Pass habe und weiß bin, dass ich überhaupt reisen kann.
Das spornt mich an, Verantwortung zu übernehmen und mich respektvoll zu verhalten und macht meine Reise nachhaltiger.
Diese Privilegien haben wir aber nicht nur auf Reisen. Auch in unserer “Bubble” zu Hause müssen wir über die vorhandenen Ungleichheiten sprechen und uns entsprechend verhalten. Nur so können wir sie irgendwann überwinden. Das ist definitiv nachhaltiger als alles andere.
Und um wirklich nachhaltig zu leben, müssen wir Privilegien abgeben. Anders geht es nicht.
6. Scheue Radikalität nicht.
Vielleicht mache ich mir mit diesem Artikel nicht nur Freund_Innen. Weil ich die rosarote grüne Brille mal abnehme.
Denn es geht hier nicht um Wohlfühl-Nachhaltigkeit. Es geht ums blanke Überleben.
Nicht mehr zu fliegen, zum Beispiel, finde ich radikal. Und ich persönlich fliege noch.
Ich plädiere zum Beispiel für (und konsumiere) Rinderknochenbrühe aus regenerativer Viehwirtschaft (weil nachhaltig für die Landschaft UND meine Gesundheit). In einer Welt, in der der Veganismus hoch im Kurs steht, teilweise auch zu Recht, muss ich mich dafür hin und wieder noch rechtfertigen und erklären. (So wie ich mich damals noch für meine rein pflanzliche Ernährung rechtfertigen musste, haha!)
Die Art und Weise, wie wir bisher gelebt haben, hat uns dahin geführt, wo wir heute sind. Nur radikale Einschnitte und große Veränderungen können das Ruder jetzt noch herumreißen.
Manch eine_r klebt sich auf die Straße, andere riskieren anderswo ihr Leben, wieder andere werden nie wieder fliegen – lass uns wirkliche Einschnitte machen und zwischen all die kleinen Mini-Schritte auch ein oder zwei große, radikale Sprünge setzen!
7. Achte gut auf dich.
Inzwischen wird über Solastalgie und eco anxiety geforscht. Die Klimakrise löst Gefühle von Trauer und Wut, Überforderung und Unsicherheit bis hin zu Angstzuständen aus.
Wenn du dich also müde fühlst, oder der Zukunft mit Sorge entgegenblickst, wenn du an die steigenden Temperaturen und die zunehmende Ausbeutung der Erde denkst, bist du damit nicht allein. Such dir Hilfe und tausche dich aus. (Dazu empfehle ich Mary Goods “Of Mutual Benefit”.)
8. Resigniere nicht.
Gleichzeitig braucht es mutige Menschen, die authentisch und wirksam handeln und weder die Augen verschließen und die Dinge ignorieren noch in Selbstmitleid erstarren.
Wir haben keine Zeit mehr, erst noch unsere ganze Kindheit aufzuarbeiten, bevor wir ins Handeln kommen.
Wenn du im Moment keine Kapazität hast, ist das völlig verständlich. Siehe Punkt 7: Achte gut auf dich. Lade deine Batterien auf, damit du danach wieder aktiv werden kannst.
Schließ dich mit Gleichgesinnten zusammen. Trainiere deine Resilienz. Solidarität bedeutet nicht, in einer kollektiven Opferrolle und konkurrierendem Leiden zu erstarren. Das hilft niemandem.
Finde heraus, was du beeinflussen kannst und was nicht und fälle entsprechende Entscheidungen. Vergiss dabei den Spaß bei der Sache nicht.
Manchmal erschreckt mich der zornige Kampfesgeist hinter dem Aktivismus. Ich verstehe, dass es ein Kampf ist, und dass es einen Kampf braucht, um den Status Quo zu kippen. Trotzdem würde mich das zu schnell kaputt und müde machen.
Lass uns aus Freude heraus agieren. Wenn du ein Beach Clean Up an deinem Urlaubsort machen möchtest, dann hab Spaß dabei. Wenn du dich mit dem Fahrrad oder den Öffis fortbewegst, dann bitte mit Freude. Auch das macht dein Leben und Reisen nachhaltiger. Verbissenheit macht uns auf Dauer nur erschöpft.
9. Sieh dich als Teil der Natur und die Natur als Teil von dir.
Auch das ist wieder ein radikaler Ansatz, den ich von Farmer Rishi auf Instagram gelernt habe. Der kann das sowieso besser erklären als ich:
10. Erkenne die Komplexität des Themas an und wie wenig wir wirklich verstehen und wissen können.
Lass auch andere Meinungen, Ansichten und Handlungsweisen gelten. Betrachte das Thema im Zusammenhang mit anderen Phänomenen.
Emilia Roigs Buch “why we matter” (*Affiliate-Link) ist ein Plädoyer für Intersektionalität und erklärt den Zusammenhang von Klimawandel, Rassismus und Sexismus.
Wir sind so mit unserer Müllvermeidung und dem Einbauen von Wasser-Spar-Applikationen beschäftigt, dass wir vergessen, dass nicht wir individuen das Problem sind. Das System ist das Problem!
Die großen Konzerne wälzen die Entscheidung auf uns Konsument_Innen ab:
Möchtest du billiges Mikroplastik-Shampoo oder teure Shampooseifen kaufen?
Billige Fast Fashion oder teure nachhaltige Jeans?
Billiges Fleisch voller Tierleid oder das gute teure Fleisch von glücklichen Tieren – oder gleich teure vegane Ersatzprodukte?
Die Frage ist: Warum gibt es diese billigen Mistprodukte überhaupt noch? Warum werden Mikroplastik, ausbeuterische Textilfabriken und Tierleid erst dann gesetzlich geregelt, wenn sich die Produkte schon etabliert haben und schon so viel kaputt gemacht wurde?
Auch wenn wir alle unsere kleinen zehn oder mehr Schritte für nachhaltigeres Reisen und Leben machen, dürfen wir nicht vergessen, dass große Firmen und andere Verursacher_Innen des Klimawandels ebenfalls ihre Schritte gehen müssen.
Das wird kein Kuschelkurs. Denn wie man zum Beispiel im Film “The Green Lie” gut sehen kann: Immer mehr große Konzerne streichen sich grün an, ändern sich und ihre ausbeuterische, zerstörerische Produktionsweise jedoch nicht.
Bonus-Tipp: Pflanze einen Garten an und erneuere fruchtbaren Boden.
Guter Boden wird immer weniger und ist unsere Lebensgrundlage. Beobachte und lerne von diesem Garten. Werde selbst ein Teil davon.
Das klingt mal wieder ziemlich esoterisch. Ich möchte dich einfach dazu inspirieren, zurück zur Quelle zu gehen und mal zu schauen, was die Natur selbst dir über Nachhaltigkeit zeigen kann.
Dann kannst du das vergleichen mit dem, was in der Welt als nachhaltig angepriesen wird und entsprechende Entscheidungen treffen.
Wie siehst du das? Ich freu mich über deinen Kommentar!
Weiterführende Links
Im RosaMag gibt’s einen Artikel zum “Grünen Kolonialismus”.
Außerdem empfehle ich die Bücher von Kathrin Hartmann. (*Affiliate-Link)
Toller – und absolut ehrlicher – Artikel und stimme dir zu 100% zu! Reflection ist in jedem Punkt wichtig, und ja wir machen Fehler – und sollten davon lernen, auch wenns mal unbequem ist.
Liebe Annette,
ganz genau so! Danke für deinen Zuspruch.
[…] persönlich traue sowieso keiner Statistik mehr, die ich nicht selbst gefälscht habe. In meinem Artikel über Nachhaltigkeit beim Reisen kannst du alle Details zu dieser Problematik nachlesen. Vielleicht fällt dir danach eine […]
[…] Erlebnis können die Teilnehmer_Innen diesen indigenen Ansatz kennenlernen und die Umwelt wird nachhaltig […]