rassismussensible sprache auf reisen

Mein Haus in Kenia: Rassismussensible Sprache auf Reisen

Bist du dir bewusst, dass die Sprache, die du benutzt, wenn du über deine Reisen sprichst, Rassismus transportieren kann?

Vor allem, wenn wir in Ländern des globalen Südens reisen, laufen wir Gefahr, unbedacht verärgernde, diskriminierende oder rassistische Botschaften zu übermitteln.

Ich meine dabei nicht das bewusste Verwenden von rassistischen Schimpfwörtern, sondern einen umfassenderen Kontext, der auch Raum für subtilere rassistische Aussagen gibt.

In diesem Blogartikel möchte ich dir dabei helfen, ein Gefühl für rassismussensible Sprache auf Reisen zu entwickeln.

Inhaltsverzeichnis

Die Geschichte von meinem Haus und was das mit rassismussensibler Sprache auf Reisen zu tun hat.

rassismussensible sprache auf reisen

Das ist mein Haus. Mein Mann hat es mir vor über zehn Jahren auf dem Grundstück seiner Eltern gebaut. Es hat ein großes Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer und eine kleine Dusche.

Vor der Tür gibt es eine Veranda. Die Wände sind aus Lehm und ich habe sie selbst schon mit Kuhdung verputzt. Das Dach ist aus Wellblech, der Fußboden zementiert. Eines der coolsten Details ist die Lücke zwischen dem hohen Dach und der Wand, wo die Luft zirkulieren kann, sodass es nicht so schnell heiß wird, auch wenn die Sonne draufscheint.

Das Haus steht im ländlichen Westen Kenias, in der Nähe zur ugandischen Grenze. Ich habe dort schon ohne und mit Kindern gewohnt, und viele Gäste willkommen geheißen.

Auf dem Familiengrundstück stehen noch weitere Wohnhäuser der Familienmitglieder, kleine Küchenhäuser und ein Stall für die Kühe, Ziegen und Schafe meines Schwiegervaters. Manche der Häuser sind mit Ziegeln gebaut, andere haben Lehmwände wie meines. Einige sind grasgedeckt, andere haben Wellblechdächer wie meines. Manche haben kleine Fenster, andere große Glasscheiben wie meines.

rassismussensible sprache auf reisen

Ich mag mein Haus sehr.

Sollte mir was zustoßen, würde ich dort sogar begraben werden. (Außer wir erwerben ein eigenes Stück Land, wie es auch unser Plan ist, und “eröffnen” es ordnungsgemäß.) Es ist ein Ort, an den ich einfach kommen kann, ohne mich ankündigen oder rechtfertigen zu müssen, ohne Miete zu zahlen.

Mein Mann hat es gebaut, damit wir eine Möglichkeit hatten, zusammen zu wohnen. Denn bis dahin hatte er im alten Häuschen seines Großvaters gewohnt. Um jedoch eine Frau willkommen zu heißen, musste er sein eigenes bauen.

Wenn ich meiner Schwiegermama im Alltag helfe, dann sagt sie “Ich hab euch das Essen ins Haus gestellt.” oder “Antony ist nicht im Haus.” oder “Die Hacke kannst du einfach vors Haus stellen.”.

Von meiner dritten Kenia-Reise kam ich also mit Fotos von meinem Haus zurück. Stolz zeigte ich sie herum.

“Oh,” sagte mein Papa, ehrlich interessiert und neugierig. “Das ist ja eine schöne Hütte.”

Ist “Hütte” ein rassistisches Wort?

Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Mein Haus, das Gebäude, in dem ich wohnte, wenn ich in Kenia war, wurde abgestempelt als Hütte. Das hört sich nicht gerade wie ein universal anerkanntes Gebäude zum Wohnen an. Eine Hütte ist keine angemessene Unterkunft, sondern irgendein heruntergekommenes, ärmliches, nicht vollwertiges und unperfektes Gebilde, vielleicht sogar etwas verdreckt und ärmlich.

In den Reisetagebüchern von meinen ersten Reisen nach Kenia habe ich auch selbst den Begriff “Hütten” verwendet, um die Wohnhäuser der Menschen zu beschreiben, obwohl ihre Bewohner_Innen sie Häuser nannten.

Wir haben rassissmussensible Sprache auf Reisen nicht gelernt.

Stattdessen haben wir folgendes verinnerlicht: “Afrikaner_Innen” wohnen in Hütten. Das erklären uns Kinderbücher, die Werbung, die Nachrichten und Filme.

Wir gehen zur Ärztin, sie gehen zum Medizinmann.

Wir haben eine Bürgermeisterin, sie haben einen Chief (was so ziemlich die direkte Übersetzung von Häuptling ist, und nur die englische Übersetzung macht es nicht weniger problematisch.).

Wir haben uns in Bundesländern und Gemeinden organisiert, sie in Tribes und Clans.

Es gibt weitere klassische Wörter, die in Reiseberichten gerne zum Einsatz kommen. Sie stehen im krassen Gegensatz zu ihren Entsprechungen im Heimatland.

Hier eine unvollständige Liste. Was fällt dir zu den einzelnen Wörtern spontan ein? Welche Assoziationen tauchen auf?

entwickelt – unterentwickelt

modern – traditionell

normal – exotisch

zivilisiert – primitiv

rational – emotional

gebildet – wild

spendenwillig – bedürftig

realistisch – naiv

Wörter sind niemals neutral. Das Problem mit der Konnotation.

Die oben genannten, teilweise rassistischen Wörter teilen ein und grenzen ab. Das Problem beginnt bei der Konnotation. Bestimmte Wörter werden auf bestimmte Weise gewertet.

“Hütte” ist erstmal kein rassistisches Wort. Eine Gartenhütte als solche zu bezeichnen ist zum Beispiel völlig unproblematisch. Erst im Kontext von meinem Haus in Kenia habe ich die abwertende Konnotation zu spüren bekommen.

Ein Haus ist ein vollwertiges Wohngebäude. Was taucht vor deinem inneren Auge auf, wenn du dir ein Haus vorstellst? Ein architektonisches Gebilde aus Beton, Ziegeln und Glas.

Und was ist eine Hütte in diesem Zusammenhang, im Vergleich zu einem Haus? Jedenfalls keine “richtige” Unterkunft. Das Wort hat etwas Abwertendes.

Genauso schwingt bei der Bezeichnung Chief eine Abwertung mit, als sei dieser Mensch nicht so kompetent wie ein_e Bürgermeister_In in Deutschland.

Unser Unterbewusstsein hält eine Gesellschaft, die in Tribes und Clans aufgeteilt ist, für rückständig und nicht besonders entwickelt oder professionell.

Selbstbezeichnungen und koloniale Konzepte

Lass uns die Sache noch ein wenig komplizierter machen.

Auch Kenianer_Innen benutzen diese Begriffe, um sich selbst zu beschreiben.

Bei meiner ersten Reise nach Kenia wurde mir mehrfach erzählt, dass es in Kenia knapp 50 Tribes gibt, und dass eigentlich alle sich zu einem bestimmten zugehörig fühlen.

Auf deutsch wird heute das Wort “Ethnien” benutzt. Da mir rassismussensible Sprache beim Reisen jedoch wichtig ist, versuche ich inzwischen, auch dieses Wort zu vermeiden, weil es einfach eine Weiterführung des Konzeptes von “tribe” ist.

Das war nicht immer so:

Ich war schon sehr überrascht, als ich kurz nach meiner ersten Keniareise in einer meiner ersten Vorlesungen in Afrikanistik lernte, dass “tribes” und “chiefs” Konzepte der Britischen Kolonialmächte waren. Erfundene Konstrukte, um die Menschen kontrollieren und kolonialisieren zu können. Und auf keinen Fall zu benutzen in der wissenschaftlichen Debatte.

“Aber sie benutzen diese Wörter doch selbst,” protestierte ich. Ich hatte sogar mit einem Assistant Chief zusammen eine Grundsteinlegung vornehmen dürfen. Er hatte sich mir als solcher vorgestellt. Assistant Chief war seine politische Position.

Was tun, um rassismussensible Sprache beim Reisen zu benutzen?

Wir können erstmal nur bei uns selbst ansetzen. Denn die Wörter, die wir für Phänomene in “unseren” Breitengraden verwenden, halten wir für neutral und universal gültig. Das stimmt aber nicht. Es gibt keine neutrale Sprache!

Sprache ist untrennbar mit menschlichen, individuellen und kollektiven Erfahrungen verknüpft und kann deshalb niemals objektiv sein.

Warum werden manche Menschen als Jäger_Innen bezeichnet, und andere als Wilder_Innen?*

Warum werden manche Menschen Expats und andere Einwander_innen oder Migrant_Innen genannt?

Weil das die Machtposition von ersteren stärkt und die anderen abwertet.

Selbstzensur oder rassismussensible Sprache auf Reisen: Was darf man denn überhaupt noch sagen?

In Kanada (so berichtet mir meine dorthin ausgewanderte Freundin) ist die Frage “Woher kommst du?” ein absolutes Tabu geworden, weil viele Menschen zu Recht genervt und verletzt davon sind. Die Frage impliziert, dass du (auch unterbewusst) vermutest, dass dein Gegenüber fremd sei und nicht dazugehöre. (Die Verschärfung davon ist dann “Woher kommst du WIRKLICH?”)

Das Argument ist dann immer, man habe nur aus Neugier gefragt und meine es gar nicht böse. Trotzdem kommt es bei Betroffenen als Rassismus an, und das gilt es, einfach mal anzuerkennen, anstatt die Schuld der scheinbar überreagierenden, zu emotionalen Person dir gegenüber zuzuschieben.

Wenn wir jemanden unabsichtlich anrempeln und die Person uns darauf hinweist, sagen wir “Entschuldigung.” und im besten Fall suchen wir nach einer Möglichkeit, so einen Zusammenstoß in Zukunft zu vermeiden. Wenn wir jemanden mit Worten verletzen, sollten wir doch genauso reagieren können, Verantwortung übernehmen und zusehen, dass wir dieses verletzende Verhalten zusehends minimieren.

Es geht einfach darum, anzuerkennen, wenn Menschen sich verletzt fühlen und ihnen diese Gefühle und Erfahrungen nicht abzusprechen.

Was ist rassismussensible Sprache auf Reisen – und was Selbstzensur?

Es ist ein schmaler Grad zwischen rassismussensibler Sprache auf Reisen und Selbstzensur. Ich selbst bin oft übervorsichtig mit dem, was ich sage, aus Angst, jemanden zu verletzen. Eine mutige Wegweiserin in diesen Fällen ist Africa Brooke, und weil sie das viel besser erklären kann als ich, möchte ich hier drei Zitate von ihr teilen:

1. Selbstzensur und Konfliktvermeidung können nicht die Lösung sein. Es braucht weiterhin mehr Mut und offenes Aussprechen von Meinungen und Ansichten.

2. Übervorsichtigkeit hilft nicht. Wir müssen Verantwortung übernehmen für das, was wir ausdrücken, und es mit Respekt und Offenheit tun.

3. Und hier eine meiner liebsten Einsichten: Polarität ist überholt und veraltet. Ich persönlich finde es schon lange schwierig, alles in gut und schlecht einzuteilen. Es geht darum, Nuancen und die Grauzone zu halten, auszuhalten und auszudrücken. Zwischen den Extremen gibt es immer ein ganzes Spektrum an Wahrheiten.

Was tun, um rassismuskritische Sprache auf Reisen anzuwenden?

Als Reisemenschen müssen wir uns mit unserer Sprache auseinandersetzen. Sie ist nicht neutral und kann im schlimmsten Fall Stereotype reproduzieren und Ungleichheiten weiter verschärfen.

Andersherum bedeutet das aber auch, dass wir die Möglichkeit haben, Dinge zu ändern und Perspektiven zu wechseln, indem wir bewusst unsere Sprache einsetzen, zum Beispiel, wenn wir von unseren Reisen berichten.

Achte also auf deine Sprache, besonders, wenn du von deinen Reisen berichtest. Sei offen für verschiedene Perspektiven. Gehe in die respektvolle Kommunikation mit Menschen, die sich trauen, dir zu sagen, dass deine Äußerungen sie irritieren. Nehme Anpassungen vor. Werde noch mehr zum Ally.

👇Hier sind einige Quellen, die dich dabei inspirieren und informieren können.

Weiterlesen und lernen

Auszug als PDF zum Herunterladen

Auszüge aus dem kostenlosen Reisetagebuch (hier geht’s zum ganzen Freebie): Wie Sprache Rassismus transportiert und eine Checkliste für verantwortungsvolle Reiseberichte

Bücher

Sprache und Sein* von Kübra Gümüşay

Wie Rassismus aus Wörtern spricht*, herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard

*Affiliate-Links (Wenn du über diese Links kaufst, unterstützt du meine Arbeit, denn ich bekomme eine Provision. Für dich bleibt der Preis gleich.)

Broschüren

„Ist das rassistisch?“ – Ein Glossar zur antirassistischen Sprache vom Goethe Institut Peking

Sprache. Macht. Rassismus – Ausgabe der Zeitschrift „Überblick“ des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen

A guide to decolonize language in conservation von Survival International

Artikel

Struktureller Rassismus & Alltagsrassismus auf Reisen – von FairAway


PS: Mein Papa, der schon selbst in meinem Haus zu Besuch war, hat diese Geschichte schon oft gehört. Er weiß, dass ich es nicht persönlich nehme und dass dieser Vorfall ein Lernfeld für uns beide ist. (Grüße gehen raus. 😘)

PPS: Zur Transparenz: Zur Einleitung zu diesem Artikel habe ich mich von Künstlicher Intelligenz inspirieren lassen.

Was denkst du zu diesem Thema? Hast du dich selbst schon mal ertappt? Was sind deine Strategien, deine Befürchtungen? Teile sie gerne in den Kommentaren.

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1 Jahr zuvor

Hallo Laura,

ein interessanter Beitrag, der in jedem Fall zum Nachdenken anregt und das Kommentarfeld allein reicht nicht wirklich aus, um meine Gedanken dazu umfassend darzulegen. Danke also einfach für den Beitrag.

Um ehrlich zu sein, habe ich noch nie über das Thema rassismussensible Sprache beim Reisen nachgedacht. Warum? Weil ich eine tiefe innere Auffassung lebe, dass niemand besser sein kann, als irgendein anderer Mensch auf dieser Erde und sollte ich versehentlich Haus und Hütte in falscher Weise benutzen, lasse ich mich gern aufklären. Diese Haltung ist in mir verankert, alles andere stößt mich ab.

Ich selbst bewege mich hauptberuflich im Kontext von Trauma – und ein Stück, glaube ich zumindest – überlappen sich diese Themen im Grundgedanke. Denn auch im Bereich von Trauma ist es so, dass wir möglichst eine traumainformierte Sprache anstreben – doch es gelingt eben nicht immer und schon gar nicht jedem, weil es einfach noch an Aufklärung mangelt. Was nicht automatisch impliziert, dass jemand aus Kontrollbestreben, Machtgebaren oder Herrschaftslust bewusst verletzende Worte benutzt.

Zu Deinen Fragen am Ende des Beitrages und auch wenn Du sie wahrscheinlich anders gemeint hast: Ja, ich habe mich tatsächlich ertappt und gleichzeitig übe ich mich bis heute in einer Strategie – mich aufgrund meiner Herkunft nicht als Opfer fühlen zu müssen. Wir Sachsen werden regelmäßig nachgeäfft, verlacht, als dumm betitelt, nicht ernst genommen und nun vielleicht sogar noch pauschal radikalisiert. Allein das zu erleben, hilft – sich selbst respektvoll gegenüber anderen Menschen zu bewegen – und wie Du siehst, muss ich dafür weder ins Ausland und auch nicht reisen.

Liebe Grüße
Sandra

[…] Sprache ist Macht und transportiert (alte) Bilder und Annahmen. Sie ist niemals neutral, genauso wenig wie Nachrichten. Um dir ein Bild von deinem Reiseland zu machen, hilft es, den Medienkonsum achtsam und verantwortungsvoll zu gestalten. […]

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[…] ein Lebensstil und Teil ihrer Identität, den sie lange nicht ausüben durften und stattdessen in “richtige” Häuser gezwungen wurden. Der Fokus aufs Tipi, außerhalb jeglichen Zusammenhangs, reproduziert das falsche […]