kulturelle aneignung beim reisen

So vermeidest du kulturelle Aneignung beim Reisen (mit Video-Workshop)

Wenn du ein Souvenir mit nach Hause nimmst, ist das dann kulturelle Aneignung beim Reisen?

Wenn du im Kimono durch Tokio gehst, betreibst du dann kulturelle Aneignung beim Reisen?

Warum es überhaupt wichtig ist, sich mit kultureller Aneignung beim Reisen auseinanderzusetzen, und wie das aussehen kann, liest du in diesem Artikel.

Wichtig: Mir geht es nicht darum, mit dem erhobenen Zeigefinger auf andere Reisenden zu zeigen und sie der kulturellen Aneignung beim Reisen zu bezichtigen. Du wirst gleich in den Beispielen lesen, dass ich selbst schon in so einigen Situationen war, die man als kulturelle Aneignung beim Reisen bezeichnen könnte.

Es verläuft eine sehr dünne Linie zwischen kultureller Wertschätzung und kultureller Aneignung beim Reisen. Mir ist es wichtig, dich zu einer noch achtsameren und respektvolleren Reise zu inspirieren. Was du selbst davon hast, wenn du dich mit diesem Thema auseinandersetzt, liest du auch noch in diesem Artikel.

Inhaltsverzeichnis

Video-Workshop

Sind diese Souvenirs und Praktiken kulturelle Aneignung beim Reisen?

Ich lasse mich gerne von meinen Reisen und anderen Kulturen inspirieren. Du dich auch?

  • Vielleicht hast du dir schon mal ein Bindi in die Mitte deiner Stirn geklebt – so wie ich.
  • Vielleicht hast du ein Tattoo, das an ein Muster aus einer anderen Kultur angelehnt ist. Oder du hast dir schon mal ein Muster mit Henna malen lassen.
  • Vielleicht hast du ein oder mehrere Kleidungsstücke, die für eine spezifische Kultur relevant sind. Ich habe zum Beispiel mehrere Kleider aus kenianischem Kitenge-Stoff und habe auch mal ein Salwar Kameez aus Indien gehabt. Ein Kimono ist ein ähnliches Beispiel, genauso wie ein Turban.
  • Vielleicht hast du einen bestimmten Gegenstand als Souvenir zu Hause, das in dem bereisten Land eine tiefe Bedeutung hat, zum Beispiel einen Traumfänger, eine Hamsa-Hand, eine Figur von Buddha (so eine hab ich) oder einem anderen Gott, einen Kente-Stoff oder bestimmte Schmuckstücke.
  • Vielleicht hast du Dreadlocks, so wie ich sie hatte, oder dir eine andere Art von Frisur machen lassen in deinem Reiseland.
  • Vielleicht praktizierst du Yoga, so wie ich manchmal, warst schon mal bei einer Kakao-Zeremonie oder du feierst den Dia de Los Muertos oder das Holi-Festival. Oder du hast schon mal in einem Tipi übernachtet, so wie ich.

Die Probleme bei all diesen Beispielen: Kulturelle Aneignung beim Reisen.

1. Die Gegenstände und Praktiken sind aus dem Kontext genommen.

Henna ist Teil einer Zeremonie und hat eine bestimmte Bedeutung. Hier in Kenia wird Henna besonders von der muslimischen Community an der Küste verwendet, aber nicht nur. Es gibt verschiedene Arten und Muster, die oft im Zusammenhang mit Festlichkeiten wie Hochzeiten aufgetragen werden. Auf einem Festival oder zur Babyparty o.ä. ist dieser Kontext nicht vorhanden.

Auch Tattoos sind oft Teil eines langen Prozesses. Egal ob bei den Maori, auf Hawaii oder im südostasiatischen Raum: Eine Tätowierung stellt oft den Abschluss einer langen Initiation dar. Für einige Reisende kann so ein Tattoo eine ähnliche Bedeutung haben. Sie haben jedoch keinesfalls die gleiche Initiation oder dieselben Rituale durchlaufen.

Meinen Salwar Kameez habe ich auch in Deutschland getragen. Diese lange Tunika war auch dort einfach bequem und angenehm zu tragen. Aber natürlich waren sowohl das Klima als auch die Kleiderordnung ganz anders als in Indien, wo dieses Kleidungsstück eine ganz andere Rolle spielt.

2. Eine privilegierte Person oder Gruppe bedient sich an einer diskriminierten Person oder Gruppe.

Hier geht es um Machtverhältnisse, oder besser um ein Machtgefälle. An den Beispielen lässt sich das gut erklären:

Traumfänger sind im globalen Norden dekorative Accessoires für den Wohnraum. Wer sich einen aufhängt, braucht nicht zu befürchten, deswegen diskriminiert zu werden. Die Menschen der First Nations, für die Traumfänger eine wichtige Rolle in ihrer Kultur spielen, haben eine jahrhundertelange Geschichte von Diskriminierung, Unterdrückung und Rassismus erfahren und kämpfen noch heute mit den Resultaten daraus und zudem gegen aktuelle Unterdrückung.

Die Kente-Stoffe aus Ghana und Kitenge-Stoffe aus Kenia kannst du als Taschen, Kleider, Kissen und sogar Dirndl tragen. Du als Reisemensch bringst viele Privilegien aufgrund deines Aussehens und deiner Herkunft mit. Die Menschen, aus deren Heimat diese Stoffe kommen, werden bis heute rassistisch diskriminiert und leiden auch unter dem globalen imperialistischen System.

kulturelle aneignung beim reisen: kente-stoff
Kente-Stoffe haben ihren Ursprung in Ghana. Ihre Verwendung durch privilegierte weiß gelesene Menschen kann als kulturelle Aneignung beim Reisen gedeutet werden.

3. Die Gegenstände und Praktiken sind identitätsstiftend und haben eine tiefe, oft sakrale Bedeutung.

Ich habe einen kleinen Buddha aus Holz zu Hause. Dabei kenne ich die Geschichte des Buddha nur in sehr groben Zügen und weiß von den Praktiken einer gläubigen Buddhistin so gut wie gar nichts.

Der Dia de los Muertos in Mexiko gewinnt immer mehr an Popularität. Bunte Totenkopf-Deko und geschminkte Schädel halten immer mehr Einzug im globalen Norden. Natürlich, weil es eine faszinierende und schätzenswerte Tradition ist. In Mexiko gehört der Tod jedoch zum Leben dazu und ist nicht nur auf einen Tag bezogen. Die ganze Lebensweise ist so ausgerichtet, dass der Dia de los Muertos sich darin einfügt.

kulturelle aneignung beim reisen: dia de los muertos
Wie sehr ist dein Leben mit dem Tod verknüpft? Oder betreibst du kulturelle Aneignung beim Reisen während des Dia de los Muertos?

Die Hamsa-Hand ist ein schönes Schutzsymbol, das man super aus dem Urlaub mitbringen und verschenken kann. Doch was bedeutet es, im Alltag auf den “bösen Blick” und Dschinns zu achten, gegen die das Symbol schützt? Wie eng ist dein Leben mit Fatima, der Tochter des Propheten Mohammed, verknüpft? (Das Symbol wird auch Fatima-Hand genannt.) Würdest du dir auch einen Rosenkranz umhängen zum Schutz? Warum (nicht)?

kulturelle Aneignung beim Reisen: Hamsa-Hand
Die Hamsa-Hand: unbedenkliches Souvenir oder kulturelle Aneignung beim Reisen?

4. Für dieselben Gegenstände und Praktiken wurde und wird die marginalisierte Kultur diskriminiert.

Wenn sie aber von privilegierten Menschen angewandt, benutzt oder praktiziert wird, ist es vollkommen in Ordnung oder sogar lobenswert.

Ich hatte vier Jahre lang Dreadlocks. Das war vielleicht ein modisches Statement, aber mehr auch nicht. Was bei Schwarzen als schmuddelig und nicht vertrauenswürdig bezeichnet wird, ist unter weißen Menschen einfach eine coole, vielleicht sogar mutige Frisur.

Andere Frisuren wie zum Beispiel corn rows oder fulani buns werden sogar medial diskutiert. Weiße Persönlichkeiten greifen einen Stil auf und werden dafür gefeiert. Gerade corn rows spielten jedoch schon unter den schwarzen Sklav_Innen in den USA eine identitätsstiftende Rolle. Wer sich als weiße Person daran bedient, wird oft dafür gelobt, während der Style bei Schwarzen immer noch in Verbindung mit Kriminalität und Gangs steht.

Und wusstest du, dass das Praktizieren von Yoga von der britischen Kolonialmacht verboten¹ wurde? Erst als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Lehrer in die USA reisten, gewann es im Westen Popularität.

5. Kommerzialisierung: Diejenigen, die sich etwas aus einer marginalisierten Kultur aneignen, profitieren davon.

Ich bin den immer populärer werdenden Kakao-Zeremonien gegenüber sehr skeptisch. Im schlimmsten Fall ist der Anbau des Rohkakaos ausbeuterisch, Mensch und Natur gegenüber. Kakaozeremonien mit angeblichen Wurzeln in der Maya-Kultur² werden von weißen Menschen gegen Bezahlung abgehalten. In den Herkunftsländern (z.B. Guatemala und Mexiko) profitiert kaum jemand.

Sich mit Farbe bewerfen und dafür Eintritt bezahlen ist die eine Sache. Doch das Holi-Fest hat eine tiefe religiöse Bedeutung.

kulturelle aneignung beim reisen: holi festival
Das Holi-Festival kann man inzwischen auch in Deutschland feiern. Dann ist es aber vor allem ein gutes Geschäft mit dem bunten Pulver und eventuell kulturelle Aneignung.

Die Kommerzialisierung der religiösen indischen Tradition nervt die Mitglieder der deutsch-indischen Gesellschaft. „Wir finden es schwierig, dass man sich unbesehen an Traditionen anderer Länder bedient, die ja für gläubige Hindus wichtig und von Bedeutung sind, um daraus für übersättigte Jugendliche im Westen einen neuen Trend zu machen“, sagt Renuka Jain, Sprecherin des Vereins. „Damit wird erneut ein sehr einseitiges Bild Indiens vermittelt. Alles ist lustig und bunt. Echtes Interesse an Indien wird so nicht erzeugt.

Renuka Jain, Sprecherin der indischen Gemeinde in Hamburg 2014³

Schmuck und andere Accessoires und Souvenirs sind eine gute Einnahmequelle, nicht nur in Kenia. Die hohe Nachfrage führt dazu, dass Schmuck, Schnitzereien und andere Produkte außerhalb des Landes in Massen produziert und dann als authentische Souvenirs verkauft werden.

Oft kommen der “authentische” Masaai-Schmuck und die “echten” Schnitzereien aus Kisii-Stein tatsächlich aus China, Textilien aus Indien und Holzfiguren aus Thailand. Der geringste Teil des Umsatzes geht dabei an die Verkäufer_Innen in Kenia.

kulturelle aneignung beim reisen: maasai perlen
Jede Perlenreihe eine tiefe Bedeutung, die wir als Außenstehende nicht fassen können – und die keine chinesische Fabrik besonders authentisch nachahmen kann.

Kultur als Businessidee ist an sich nicht unbedingt negativ. Schwierig ist es, wenn eine Kultur ausgebeutet wird, besonders von Außenstehenden.

6. Die Verwendung all dieser Gegenstände und Praktiken außerhalb ihres Kontexts schüren Stereotype und Klischees.

Ein Kimono, getragen außerhalb seines ursprünglichen Kontextes und von Menschen ohne japanische Wurzeln oder nur mit nur oberflächlicher Beziehung zum Land, kann als Verspottung der japanischen Kultur wahrgenommen werden. Ein Kimono repräsentiert ein „exotisches“ Bild Japans. So wird das vielschichtige Land und die reiche Kultur auf das sehr oberflächliche Bild einer Geisha reduziert.

Auch der Fokus auf das Bindi reduziert Menschen hinduistischen und jainistischen Glaubens auf “mystische Andere”.

Im Tipi schlafen macht Spaß und ist ein Abenteuer. Für viele Menschen auf der Welt ist es jedoch ein Lebensstil und Teil ihrer Identität, den sie lange nicht ausüben durften und stattdessen in “richtige” Häuser gezwungen wurden. Der Fokus aufs Tipi, außerhalb jeglichen Zusammenhangs, reproduziert das falsche Bild der Rückständigkeit.

All diese Klischees basieren auf falschen, reduzierten und diskriminierenden Sichtweisen aus der Kolonialzeit, die durch kulturelle Aneignung weiter reproduziert werden und im Umlauf bleiben.

Kulturelle Aneignung von Land

Das Phänomen der kulturellen Aneignung beim Reisen spielt nicht nur bei Gegenständen, Praktiken oder Erscheinungsformen eine Rolle. Auch Land wurde und wird noch heute angeeignet, zum Beispiel für Nationalparks oder Naturschutzgebiete. Dieses Thema ist jedoch so groß, dass ich es demnächst in einem separaten Artikel bearbeiten möchte.

Soviel sei jedoch schon einmal gesagt: Menschen mit einer tiefen Beziehung und fortlaufender Interaktion mit dem Land werden vertrieben, damit privilegierte Menschen sich gegen Bezahlung in einem konstruierten Bild von Landschaft und Natur bewegen können.

Kulturelle Aneignung verändert die Landschaft: Erst kommen die Touristen, dann folgen die Unternehmen, dann wird physikalisch Einfluss auf das Land genommen.

“Ja, aber” – Argumente in einer Diskussion über kulturelle Aneignung beim Reisen

In einem Gespräch über kulturelle Aneignung beim Reisen kommen dann schnell folgende abwehrende Argumente zum Einsatz:

1. “Die freuen sich doch.”

Wenn Chines_Innen Lederhose und Dirndl zum Oktoberfest tragen, fühlen sich die Bayer_Innen doch auch eher geschmeichelt als beleidigt. Umgekehrt müsste es doch genauso sein: Die Menschen freuen sich doch, wenn wir Teile ihrer Kultur übernehmen und sind stolz.

In diesem Beispiel wird der Machtunterschied deutlich: Bayer_Innen wurden für das Tragen ihrer Tracht noch nie diskriminiert. Vielleicht wurde jemand in Lederhose hin und wieder mal belächelt. Doch auch mit Lederhose bekommst du einen Mietvertrag oder einen Studienplatz. Mit Sari und Bindi ist das nicht gegeben.

Und die Tracht hat nur geringfügig identitätsstiftende Bedeutung. Natürlich sind die Bayer_Innen sehr stolz auf ihre Tracht. Doch niemand wird dir dein Bayerisch-Sein absprechen, weil du zu deiner Arbeitsstelle in der Bank oder der Arztpraxis nicht im Dirndl kommst. In anderen Kulturkreisen ist eine Frau ohne Fußkettchen unter Umständen keine richtige Braut. Oder eine Person hat ohne eine bestimmte Tätowierung als Zeichen ihrer Initiation keinen Zutritt zu einer Gruppe, die für ihre Identität extrem wichtig ist.

kulturelle aneignung beim reisen: lederhose
Den Bayer_Innen wird ihre Identität auch ohne Tracht nicht abgesprochen. Außerdem werden sie fürs Trachten-Tragen nicht diskriminiert. Darum ist es keine kulturelle Aneignung beim Reisen, wenn zum Beispiel jemand aus einem asiatischen Land eine Tracht aufs Oktoberfest trägt.

2. “Die sind zu emotional, die sollen sich mal nicht so anstellen.”

Oder auch: Es ist ja nicht böse gemeint, im Gegenteil, was wir hier betreiben ist kulturelle Wertschätzung.

Meine Antwort darauf ist: Können wir bitte einfach anerkennen, dass sich jemand unwohl fühlt mit der Tatsache, dass wir etwas aus ihrer Kultur benutzen? Warum müssen wir anderen Menschen die Gefühle immer absprechen?

Lasst uns zusammensitzen, zuhören und miteinander sprechen.

Als Reisende sind wir Gast in einem fremden Land. Da ist es schwer genug, herauszufinden, wie wir wirklich respektvoll unterwegs sein können. Und wenn uns dann schon mal direkt gesagt wird, dass sich jemand durch unsere Handlungen beleidigt oder diskriminiert fühlt, können wir nicht einfach darüber hinwegsehen und die Person als zu emotional bezeichnen.

3. “Das ist wieder nur so ein neuer Trend der woken Generation.”

Kulturelle Aneignung wird oft als Phänomen der aktuellen Gesellschaft betrachtet, als ein neuer Trendbegriff, auf den man jetzt auch noch achten muss.

Das stimmt nicht. Kulturelle Aneignung gibt es, seit es Kultur gibt. Und Kultur gibt es, seit es Menschen gibt.

Und: Kulturelle Aneignung ist auch ein fundiertes wissenschaftliches Phänomen und bei Weitem kein Trend, der nur wieder irgendjemandem den Mund (oder sonst was) verbieten will.

4. “Jetzt darf ich ja gar nichts mehr sagen oder tun!”

Nach der Sprachpolizei kommt jetzt auch noch die Klamotten-Polizei oder Kultur-Polizei.

5. “Kulturelle Aneignung ist doch eigentlich was Schönes.” (cultural appreciation vs. cultural appropriation)

“Wir leben zusammen in einer großen, bunten, diversen Welt und wollen doch nur miteinander verbunden sein und voneinander lernen. Außerdem ist es doch ganz normal, dass Kulturen sich begegnen, vermischen und verändern.”

Ja, Kulturen sind ein fließendes Kontinuum, ein Spektrum. Um das Ganze noch komplizierter zu machen: Auch Menschen aus einem bestimmten Kulturkreis können sich ihre eigene Kultur selbst aneignen. Nicht alle kulturelle Aneignung ist also negativ oder geschieht von Außenseitern.

Nur leider wird hier dann mit zweierlei Maß gemessen. Denn für uns ist es scheinbar etwas Schönes, wenn wir uns bei anderen Kulturen bedienen. Andererseits ist es uns dann doch wichtig, dass sich andere integrieren und assimilieren. Dabei müssen sie bestimmte kulturelle Identitätsmarker ablegen, damit sie überhaupt in die Gesellschaft passen.

Es ist eine Wunschvorstellung, dass wir alle gleichberechtigt und bunt gemischt auf dieser Erde herumhüpfen. Während wir darauf hinarbeiten, müssen wir anerkennen, dass es im Moment noch nicht so ist, dass eine Gruppe die Macht hat und die anderen diskriminiert werden.

Was tun gegen kulturelle Aneignung beim Reisen?

Wie schon anfangs erwähnt, geht es mir hier nicht um den erhobenen Zeigefinger, denn der bringt niemanden weiter. Wir alle machen Fehler. Aber:

If that’s all you do, that’s a problem. […] We can always do better.

Swati Saxena on the Daily Passenger Responsible Travel Podcast

Bei all dem Input heißt es es, proaktiv bleiben. Hier sind ein paar Tipps, was du tun kannst:

1. Folge deinem Bauchgefühl.

Wenn du dich unwohl fühlst und du dir nicht sicher bist, ob du das nun tun solltest oder nicht: Mach es nicht. Das ist meistens schon ein deutliches Zeichen dafür, dass da etwas nicht stimmt und es keine gute Idee ist.

So ging es mir mit den Kakao-Zeremonien. Die waren mir von Anfang an suspekt, ohne dass ich genau wusste, warum. Jetzt, nach erheblicher Recherche, weiß ich, dass meine Intuition richtig lag.

2. Raus aus der Starre.

Ich verharre leider sehr gerne in meiner Komfortzone und traue mich gar nichts mehr zu sagen oder zu tun. Ich will einfach nichts falsch machen und bin auch oft einfach überwältigt von so vielen neuen Erkenntnissen. Das ist aber auch nicht der Sinn der Sache.

Wir können ja nur dazulernen und uns weiterentwickeln, indem wir rausgehen und im schlimmsten Fall Fehler, im besten Fall Erfahrungen machen.

Also trau dich.

Auch wenn du dich schuldig fühlst. Wenn du bis hierher gelesen hast, bin ich mir sicher, dass du das nötige Feingefühl und die entsprechende Offenheit mitbringst, die es braucht, um das Reisen respektvoller und frei von kultureller Aneignung zu gestalten.

3. Fragen stellen und den Menschen vor Ort wirklich zuhören.

Hol dir ein paar Einschätzungen von den Menschen, die sich wirklich damit auskennen, nämlich den betroffenen Menschen vor Ort. Frage nach der Bedeutung der Gegenstände oder Praktiken, die du übernehmen möchtest.

4. Es ist komplex.

Wäge ab, in welchem Zusammenhang du was tust. Vielleicht ist es in Ordnung, ein geschenktes Kleidungsstück deiner Gastfamilie vor Ort zu tragen, in Deutschland aber nicht? Gib auch deiner Verwirrung Raum und erkenne die Komplexität des ganzen Themas an.

5. Impact over intention.

Das bedeutet, es ist wichtiger, was ankommt, als wie du es gemeint hast.

„Das war doch gar nicht böse gemeint.“ oder „Ich habe es doch gut gemeint.“ ist einfach kein Argument mehr. Denn bei (interkultureller) (und auch nonverbaler) Kommunikation dürfen wir unser Gegenüber immer mitdenken. Oder zumindest beherzigen, wenn es sich nicht wohlfühlt mit unserem Verhalten.

Ist das kulturelle Aneignung?

Ich habe mich schon oft dabei ertappt, zu googlen, ob XYZ kulturelle Aneignung beim Reisen ist oder nicht. Ich möchte einfach sicher gehen, dass ich nichts “falsch” mache.

Dabei ist es so gut wie unmöglich, alle Phänomene in zwei Schubladen (cultural appropriation & cultural appreciation) einzuteilen. Dafür ist Kultur an sich und das Thema selbst, wie erwähnt, einfach zu vielschichtig, komplex und kontextabhängig.

Ist es denn wichtig, jedes Mal zu fragen: “Ist das jetzt schon kulturelle Aneignung oder noch kulturelle Wertschätzung?”

Und vor allem: Ist so ein Label hilfreich?

Viel wichtiger und auch förderlicher finde ich das Zuhören. Wenn dich eine Person oder eine Gruppe darauf hinweist, dass sie sich durch deine Handlungen oder Praktiken irritiert oder diskriminiert fühlen, dann hör zu und geh nicht gleich in die Abwehrhaltung.

Rechtfertige dich nicht sofort, und tu ihre Argumente nicht als zu emotional ab. Das kannst du später immer noch alles machen.

Versuche stattdessen, wirklich zuzuhören und die Argumente deines Gegenübers anzunehmen. Lass etwas Zeit vergehen und komme in ein interessiertes Gespräch.

Kulturelle Aneignung beim Reisen und BIPoC

Als weißer Reisemensch kannst du dir also schon so einige Gedanken machen zum Thema kulturelle Aneignung beim Reisen. Was ich lange nicht bedacht habe, ist, dass Schwarze Menschen und andere BIPoC zusätzlich noch hin und hergerissen sind. Wenn ich ein Maasai-Perlenarmband trage, ist das nochmal was anderes als wenn Menschen mit kenianischen oder sogar Maasai-Verbindungen das tun.

Ich darf mich regelmäßig mit Joy und Jasmin im virtuellen BIPoC Wohnzimmer treffen und viel dazulernen. Auch diese Erkenntnis kam mir erst im verletzlichen Austausch mit diesen beiden wunderbaren Menschen.

Als mixed person fragen sie sich nämlich auch oft:

  • Ist das jetzt kulturelle Aneignung, wenn ich dieses und jenes mache?
  • Auch wenn ich zu dieser Kultur gehöre?
  • Mit welchen Teilen der Kultur kann und möchte ich mich identifizieren?
  • Und welche Rolle spielen meine weißen Privilegien, die ich mit einem deutschen Pass auch habe?

Von third culture kids, also Menschen mit Elternteilen aus zwei verschiedenen Ländern und Kulturen, wird irgendwie erwartet, alles über das „exotischere“ der beiden Länder zu wissen. Oder wir gehen sogar davon aus, dass sie über beide Länder top informiert sind, während wir selbst über Deutschland auch nicht alles wissen. Das können wir und kann auch sonst jemand niemals erreichen.

Was es dir bringt, dich mit kultureller Aneignung beim Reisen auseinanderzusetzen:

Es ist kompliziert und doch so wichtig, sich als Reisemensch mit kultureller Aneignung beim Reisen auseinanderzusetzen. Das Wichtigste ist mir dabei, dass wir annehmen, wenn sich jemand verletzt fühlt durch unsere Handlungen und Praktiken und dass wir zuhören, zuhören, zuhören.

Denn wenn wir uns mit kultureller Aneignung beim Reisen auseinandersetzen, dann

  • wird unsere Reise achtsamer.
  • können wir respektvoller den besuchten Menschen gegenüber agieren.
  • werden wir tiefer eintauchen und mehr über die gelebte, von uns besuchte Kultur verstehen.
  • sind wir verantwortungsvoller unterwegs, weil wir später darüber berichten und ein paar Klischees vielleicht sogar durchbrechen können.

Was sind deine Gedanken zum Thema? Lass es mich gerne unten in den Kommentaren wissen.


¹ prathaculturalschool.com/post/yoga-ban-in-india

² Das Problem mit Kakaozeremonien ist zudem, dass es sie so, wie sie von weißen Menschen angeboten und abgehalten werden, wohl nicht im Maya-Kontext gegeben hat. Dieses Ritual reduziert und exotisiert eine Kultur auf ein Getränk, das das individuelle Wohlbefinden steigern soll. Kollektive Unterdrückung, Identitätsverlust und tiefgreifende Spiritualität, die Umweltschutz und den zeremoniellen Umgang mit allen Pflanzen mit einschließt, werden hierbei übergangen. (dismantlemag.com/2020/03/16/cacao-ceremony-latest-trend-new-age-consumer-spirituality)

Soul Lift Cacao: Addressing concerns about cultural appropriation of cacao

³ abendblatt.de/wirtschaft/article127797596/Holi-Festivals-das-Geschaeft-mit-dem-bunten-Pulver.html

⁴ Das bedeutet nicht, dass die Qualität der Produkte immer schlecht sein muss. Die weltwirtschaftlichen Dynamiken funktionieren eben nun einmal so. Es wird jedoch dann zum Problem, wenn identitätsstiftende Stücke wie Maasai-Schmuck oder bestimmte Kleidungsstücke auch für diejenigen nicht mehr erschwinglich sind, die sie für bestimmte Zeremonien oder als Identitätsmarker brauchen. Und natürlich, wenn sie unter falschem Label als “echt” und “authentisch” verkauft werden.

⁵ So zum Beispiel die Sámi in Nordskandinavien: (https://www.researchgate.net/publication/361449245_Tourism_appropriation_of_Sami_land_and_culture)

⁶ Diese Idee stammt aus dem Podcast Curious Tourism: S2 Ep48: Cultural Appropriation. Dort findest du auch eine gute Einführung in die Grundbegriffe rund um das Thema.

⁷ Dieser Abschnitt entstand aus den Nachrichten in der geschützten WhatsApp-Gruppe des BIPoC Wohnzimmers. Wenn du Interesse hast an einem geschützten Raum für BIPoC oder ein besserer Ally werden möchtest, kontaktiere Joy, Jasmin oder mich.

⁸ In der Wissenschaft heißt das Kultursensibilität. (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160738321000980)

Volle Transparenz:

Dieser Artikel entstand mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz beim Ausformulieren von vereinzelten Paragraphen.

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