Zur Vorbereitung auf meine eigene Reise habe ich diesen Roman, der in Kenia spielt, als erstes Buch für den Literaturkreis „Mit 195 Autorinnen um die Welt“ gewählt. Er erzählt die Geschichte einer Insel im Weltgeschehen und die einer vielschichtigen Frau.
Inhalt
Ayaana lebt als Außenseiterin mit ihrer Mutter auf einer Insel an der kenianischen Küste. Den rückkehrenden Seefahrer Muhidin wählt sie sich als ihren Vater aus. Ihr Lebensweg führt sie nach China. Die Überfahrt dorthin auf einem Containerschiff voller besonderer Charaktere verändert sie für immer. Und dann begibt sie sich auf einen gefährlichen Abstecher nach Istanbul.
Eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und dem, was ihre kulturelle Identität ausmacht.
Warum dieses Buch?
Ich habe mich von diesem Buch durch die August-Hitze tragen lassen und habe es geliebt.
Natürlich bin ich etwas voreingenommen. Nicht umsonst habe ich das Buch als Einstieg unseres Literaturkreises “Mit 195 Autorinnen um die Welt” gewählt, einen Monat vor meiner Reise nach Kenia.
Die Autorin Yvonne Adhiambo Owuor hat in Kenia ihre ersten Kurzgeschichten veröffentlicht. Eine davon gewann 2003 den Caine Prize für die beste englischsprachige Kurzgeschichte einer afrikanischen Autorin.
Die Aphorismen, die im Buch eine wichtige Rolle spielen, sind mir wohlbekannt. Allen voran: “Pwani si Kenya” – “Die Küste ist nicht Kenia.”
Aber auch vor Leser_innen, die keine Verbindung zu Kenia haben, breitet sich diese Geschichte wie ein reichhaltiges Buffet aus, in dem ich genüsslich schwelgen konnte.
Viel Drama in diesem Roman aus Kenia
Oft schafft Yvonne Adhiambo Owuor es, mit Sätzen, die nicht mal ein Verb beinhalten, ja sogar mit einzelnen Substantiven, große dramatische Landschaften zu präsentieren, vor deren Hintergrund sich ähnlich dramatische Geschichten abspielen. Große Emotionen werden meistens unaufdringlich geschildert. Nur hin und wieder ist es wirklich unwahrscheinlich viel Drama.
Eigentlich hat jede Figur irgendwelche dunklen Erfahrungen gemacht, und ist in irgendwelche traumatischen Geschichten verwickelt.
Das macht die Charaktere so vielschichtig, und den Roman so lang. Und teilweise ist er eben eine schöne Geschichte, in die ich mich reinlegen will wie in einen reichhaltigen Obstsalat aus exotischen Früchten. Ein bisschen Realitätsnähe geht dadurch verloren, aber das ist bei guter Unterhaltung ja auch gar nicht schlimm.
Ich habe die Figuren wirklich gut kennengelernt und mit ihnen mitgefiebert. Darum haben wir im Lesekreis über ein paar Entscheidungen der Charaktere gerätselt, die nicht ganz nachvollziehbar sind. Würde eine Mutter ihre Tochter wirklich “verkaufen”? Würde sich jemand wie Ayaana wirklich auf jemanden wie Koray einlassen?
Kultur und Religion, Kategorien und die Essenz
Hier ist es aber vielleicht hilfreich, sich in Erinnerung zu rufen, dass Ayaana eine Schwarze ist und einen Buibui trägt, also als Muslimin gelesen wird. Das vergisst man hin und wieder im Buch, denn darin liegt die große Kunst der Autorin: Sie erzählt, was die Figuren bewegt und wie vielschichtig sie sind, sodass wir mit ihnen mitfühlen, ohne dass es wichtig oder notwendig ist, sie in eine Schublade oder Kategorie schieben zu müssen. Die Gefühle und Erlebnisse sind zeitlos, destilliert bis auf die universal erfahrbare Essenz, wie das Rosenwasser von Munira.
Die Religion spielt für die globalen Dynamiken eine Rolle, von denen die Insel nicht verschont bleibt. Owuor webt das Weltgeschehen gekonnt in die einzelnen Lebenswege der Figuren mit ein, und doch bleibt die Insel beständig ihrer ganz eigenen Kultur treu, die sich aus den verschiedensten Einflüssen zusammenfügt.
Vielleicht ist es die blanke Armut, die pure Verzweiflung, die Munira dazu veranlasst, Ayaana auszuliefern. Davon lesen wir nichts im Buch, denn die “Unter-einem-Dollar-pro-Tag”-Statistiken und die Geschichten aus dem Slum, von den Müllhalden und vom Hunger bekommen wir ja ohnehin täglich von anderen Quellen geliefert.
Hier geht es wirklich vielschichtiger zu, und dafür ist es unabdingbar, ein Buch einer Autorin zu wählen, die wirklich aus dem Land kommt und dort lebt und arbeitet und die schreiben und erzählen kann, was ihr persönlich wichtig ist, was sie sieht und erlebt, ohne einen Filter einer anderen Sozialisierung oder eines anderen Weltbildes, das andere Machtvorstellungen hat.
Weltgeschehen auf einer isolierten Insel
Owuor spart die weltpolitischen Reibungen nicht aus. Sie zeigt, auf welch subtile Art und Weise globale Ereignisse auf die Insel Einfluss nehmen, die doch scheinbar aus Zeit und Raum gefallen ist, und als unberührbare Bühne des Lebens fungiert. Irgendjemand beginnt irgendwo den “Krieg gegen den Terror”, und plötzlich kommt nationales Militär auf die Insel und richtet einigen Schaden an. Irgendjemand beschließt irgendwo ein Hilfsprojekt und plötzlich graben weiße Menschen einen gut gemeinten Brunnen für die Inselbewohner_innen, aus dem sich nur Salzwasser schöpfen lässt.
Die Menschen auf Pate sehen das Weltgeschehen durch ihren Filter und wer diese Geschichte liest, dem müsste aufgehen, dass auch er selbst die scheinbar universal wichtigen Nachrichten und geltenden Normen durch seine eigene kulturell geprägte Brille sieht.
Wer die Augen verdreht über die Lektüre einer chinesischen Reisebegleiterin zur Vorbereitung auf Kenia (geschrieben von alten, weißen, männlichen, sehr voreingenommenen Abenteuer-Reise-Reportern), darf sich gleichzeitig fragen, was er selbst denn als Reisevorbereitung liest.
Taugt vielleicht dieser Roman, der in Kenia spielt, nun auch als Lektüre zur Reisevorbereitung? Vor allem, wenn man noch nicht so viel über Kenia weiß?
Das Landesinnere kommt in diesem Roman nicht so gut weg, in den wenigen Momenten, in denen es erwähnt wird. Wer also eine Safari in einem Nationalpark machen möchte, muss sich noch was anderes suchen.
Aber für eine Reise auf das Lamu-Archipel vor der kenianischen Küste, auf Zanzibar oder andere Orte der Swahili-Kultur an der ostafrikanischen Küste ist “Das Meer der Libellen” eine große Empfehlung.
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