Als ich zum ersten Mal nach Kenia kam, fühlte ich etwas, das sogar einen Namen hat: White Guilt. Weiße Schuld. Konfrontiert mit der europäischen Kolonialisierung und dem damit verbundenem Unrecht entwickelte ich Schuldgefühle auf Reisen.
Es dauerte lange und brauchte noch viele weitere Reisen, Recherche und Übung, um mit diesen Schuldgefühlen auf Reisen umzugehen. In diesem Artikel erkläre ich genauer, wie white guilt sich anfühlt und wie du damit umgehen kannst.
Inhaltsverzeichnis
- Schuldgefühle auf Reisen: Konfrontiert mit meinen Privilegien.
- Schuldgefühle auf Reisen als Katalysator
- Was tun bei Schuldgefühlen auf Reisen?
- 1. Nimm das Schuldgefühle auf Reisen als solche wahr.
- 2. Untersuche, worüber du wirklich traurig oder wütend bist.
- 3. Betrachte diese wunden Punkte und untersuche, auf welche du Einfluss hast und welche jenseits deiner Einflussnahme liegen.
- 4. Halte kurz inne!
- 5. Lass die Schuldgefühle auf Reisen über Dinge los, die du nicht beeinflussen kannst.
- 6. Unternimm etwas in Bezug auf eine Sache, die du wirklich beeinflussen und ändern könntest.
- Wenn du Schuldgefühle auf Reisen hast
- Fazit
- Weiterlesen zum Thema Schuldgefühle auf Reisen
Schuldgefühle auf Reisen: Konfrontiert mit meinen Privilegien.
Ich fühlte mich schuldig dafür, dass ich in einem privilegierten Land wie Deutschland geboren worden war. Ich fragte mich, warum ausgerechnet ich dieses Glück hatte, in eine deutsche Familie geboren zu werden, in einem deutschen Krankenhaus, mit Elektrizität und Versicherungen und Autobahnen und gutem Zugang zu Bildung.
Hätte nicht einfach eine andere Person, die nun in einem Slum in Nairobi wohnt oder in einem Lehmhaus auf dem Land, anstatt meiner dort landen können? Wie unfair, dass ich all diese Privilegien habe und jemand anders auf der anderen Seite des Äquators hat sie nicht!
Und all das Zeug, das wir zu Hause haben! Badewannen und Klopapierhalter und mehr Handtücher und Teller als Haushaltsmitglieder. Ein Auto, Dosenfutter für den Hund und Leckerli für die Meerschweinchen, Ziegeldächer und iPads und sieben verschiedene Sorten Milch.
Und all das Geld und den Zugang dazu und die Möglichkeiten, diesen ganzen Kram zu kaufen.
Außerdem der ganze Mist, den mein Land und mein Kontinent dem afrikanischen Kontinent und Kenia angetan hatte: Missionierungen, koloniale Expeditionen, wirtschaftliche Ausbeutung, geografische Fragmentierung.
Und was sie ihnen nach wie vor antaten: Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskraft, Marginalisierung, Stigmatisierung, Einflussnahme und die Anmaßung moralischer, finanzieller und sozialer Maßstabsetzung…
Schuldgefühle auf Reisen als Katalysator
Ich war mittendrin. Ich war eindeutig bei den Bösen! Darum fühlte ich mich schuldig. Das erdrückte mich fast und ich fühlte mich machtlos und traurig und wütend.
Es ist offensichtlich, dass Schuldgefühle keine Lösung sind. Ich reflektierte, ich interagierte, ich studierte.
Viele Jahre später habe ich nun diese Schuldgefühle auf Reisen fast ganz überwunden. Ich habe gemerkt, dass es nicht ausschließlich meine persönliche Schuld ist, die ich zu tragen habe.
Heute bin ich sehr froh darüber, in einem Land geboren zu sein, das mir die Möglichkeit und – ja – auch das Privileg bietet, diese Erfahrungen machen zu dürfen. So kann ich von ihnen lernen und aktiv werden.
Ich habe meine Schuldgefühle auf Reisen in meine persönliche Verantwortung und eine besondere Achtsamkeit verwandelt. Heute reise ich verantwortungsvoll und respektvoll. So wurde über Kurz oder Lang auch das Achtsam Reisen Festival geboren.
Was tun bei Schuldgefühlen auf Reisen?
Wenn auch du diese „white guilt“ verspürst, kannst du Folgendes tun:
1. Nimm das Schuldgefühle auf Reisen als solche wahr.
Stempel es nicht zu schnell als Heimweh oder Kulturschock ab, oder die Nebeneffekte der Malaria-Prophylaxe. Dies hier ist was anderes. Wenn du dich schlecht fühlst aufgrund deiner Herkunft, akzeptiere dieses Gefühl und untersuche es.
2. Untersuche, worüber du wirklich traurig oder wütend bist.
Du kannst darüber nachdenken, oder vielleicht in deinem Reisetagebuch darüber schreiben. Sind diese Punkte umfassend, irgendwie generell? Oder hast du konkrete Beispiele? Findest du es zum Beispiel unfair, dass du ein Visum für Kenia einfach bei deiner Landung am Flughafen bekommst, deine kenianische Freundin es jedoch sehr schwer haben wird, ein deutsches Visum zu bekommen? Findest du es generell traurig, wie im Fernsehen über Asien berichtet wird? Oder fühlst du einfach blanke Scham dafür, was indigenen Völkern angetan wurde und wird?
3. Betrachte diese wunden Punkte und untersuche, auf welche du Einfluss hast und welche jenseits deiner Einflussnahme liegen.
Du kannst geschichtliche Ereignisse nicht ungeschehen machen. Doch du kannst darüber lesen und recherchieren, auch wenn das erst nach deiner Rückkehr nach Hause ist. Vielleicht merkst du aber zum Beispiel, dass Kleiderspenden aus deiner Heimat die lokale Textilindustrie zerstören. Hier hast du die Möglichkeit, deine Kleiderspenden einzustellen und andere darüber aufzuklären.
Doch bevor du dir einen erhobenen Zeigefinger aneignest:
4. Halte kurz inne!
Schreib nicht gleich eine Rundmail oder einen Facebook-Post im Rausch deiner aufgewühlten Emotionen. Versuche, mit anderen Leuten in ähnlichen Situationen ins Gespräch zu kommen. Sprich zuerst mit den Menschen in deiner Umgebung, deinen Gastgeber_Innen, anderen Reisenden oder Freiwilligen, vielleicht einer Organisation oder dem Hotelpersonal. Sammle andere Ansichten und neue Perspektiven. Gewinne Klarheit und passe deine Emotionen an. Erweitere deine Sichtweise und informiere dich.
5. Lass die Schuldgefühle auf Reisen über Dinge los, die du nicht beeinflussen kannst.
Akzeptiere, dass du nicht die Welt ändern wirst. Doch du kannst dich in ihr bewegen, auf achtsame und verantwortungsbewusste Art und Weise. Indem du Erkenntnis gewinnst und Erfahrungen teilst und da ansetzt und deine Energie einsetzt, wo du wirklich etwas bewegen kannst.
6. Unternimm etwas in Bezug auf eine Sache, die du wirklich beeinflussen und ändern könntest.
Mach das nicht, um dein Gewissen zu beruhigen. Im besten Fall wird es sich nicht beruhigen lassen. Unternimm etwas, weil du merkst, dass du Verantwortung hast und sie nutzen kannst.
Wenn du Schuldgefühle auf Reisen hast
Hier sind ein paar Impulse, um noch tiefer zu gehen. Wenn du magst, druck sie dir hier einfach aus und leg sie dir schon mal im Reisetagebuch zurecht.
1. Gefühl wahrnehmen.
So fühle ich mich, ganz konkret und detailliert:
Das Gefühl sitzt in diesem Körperteil:
Das Gefühl hat vielleicht eine Farbe oder lässt sich so beschreiben:
Seit wann fühle ich mich schuldig? Was könnte das Gefühl ausgelöst haben?
2. Konkrete wunde Punkte.
Es macht mich wütend, dass…
Es macht mich traurig, dass…
Ich fühle mich machtlos, wenn…
3. Einflussnahme erkennen.
Ich habe keinen Einfluss auf…
Ich könnte Einfluss nehmen und etwas tun für / gegen…
4. Gespräche suchen.
Folgende Leute können mir mehr erzählen:
Das sagen andere:
Ich habe inzwischen meine Perspektive geändert oder erweitert, und zwar:
5. Loslassen.
All dies lasse ich fallen, all dies akzeptiere ich, all dies nehme ich hin:
6. Anpacken.
Aber in dieser einen Sache kann und werde ich tätig werden:
Fazit
Schuldgefühle auf Reisen sind normal. Sie sind ein Hinweis für deine steigende Achtsamkeit und damit eigentlich ein gutes Zeichen. Die Arbeit an diesen Dingen sollte nie aufhören. Wir als weiße, privilegierte Reisende werden nie damit fertig sein, unsere Privilegien zu hinterfragen und noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Auch ich bin damit noch lange nicht fertig. Nutze deine unangenehmen Gefühle auf Reisen und erforsche proaktiv, woher sie kommen und zu welchen verantwortungsvollen Entscheidungen sie dich motivieren.
Weiterlesen zum Thema Schuldgefühle auf Reisen
kritische Artikel online:
zum Weiterdenken:
- „Kritische Weiß_heiten„, eine Instagram-Challenge von Josephine Apraku. Die Fragen wurden hier in ihrer Gänze aufgegriffen und beantwortet von bridge&tunnel, einem Label für Nachhaltiges Design
zum Tiefergehen:
- Henriette Seydel schreibt ihre Promotion über Tourismus, Kolonialismus und Erinnerungsarbeit in Tansania.
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- Layla F. Saad – me and white supremacy
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Wie gehst du mit solchen unangenehmen Gefühlen um? Hast du dich auf Reisen schon mal schuldig gefühlt? Teile deine Erfahrungen unten in den Kommentaren.
[…] hoffe, ich konnte dir die Parallelen von Kolonialismus und Tourismus […]
[…] schmaler Grad zwischen rassismussensibler Sprache auf Reisen und Selbstzensur. Ich selbst bin oft übervorsichtig mit dem, was ich sage, aus Angst, jemanden zu verletzen. Eine mutige Wegweiserin in diesen Fällen […]