Bilder haben ungeheure Macht. Und damit auch die Person, die das Bild macht.
Die Position hinter der Kamera ist eine Machtposition. Diese gilt es verantwortungsvoll und kultursensibel zu nutzen.
Deine Reisefotos haben vielleicht eine große Bedeutung für dich. Doch sie können auch enorme Auswirkungen auf die Menschen und die Länder haben, von denen du sie gemacht hast.
Welche Verantwortung die Reisefotografie mit sich bringt und wie du auf deiner Reise respektvolle Reisefotos machen kannst, liest du in diesem Artikel.
Inhaltsverzeichnis
- Vorbereitung für respektvolle Reisefotos
- Motive auf Reisen verantwortungsvoll und respektvoll fotografieren
- Reisen ohne Kamera
- Genieße respektvolle Reisefotografie
Vorbereitung für respektvolle Reisefotos
Bereits vor der Reise kannst du die Bildsprache deines Reiseziels untersuchen und dich einstimmen.
Gib dein Reiseland in die Bildsuche ein. Suche auch auf Plakaten, in den Medien oder Zeitschriften.
Welches Bild kommt immer wieder vor? Welches Bild sticht hervor? Welche Botschaft transportieren diese Bilder? Welche Perspektive zeigen sie – und welche nicht? Und ganz konkret: Wer hat diese Bilder gemacht?
Gehe tiefer und hinterfrage die Fotos: Kannst du auch Bilder finden, die bestimmte Klischees durchbrechen?
Suche nach Fotograf*innen aus deinem Reiseland und sie dir an, wie diese ihre Heimat fotografisch präsentieren.
Mache bessere Reisefotos mit diesem einen Schritt.
Es gibt ein einfaches Geheimnis für bessere Reisefotografie und -videografie: Mach mehr Fotos und Videos, schon bevor du reist.
Das klingt einfach und vielleicht enttäuschend, funktioniert aber. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen.
Vor einiger Zeit bekam ich von einem lieben Menschen eine Kamera geschenkt. Sie war komplett mit Tasche und Handbuch und ich war so glücklich und überwältigt, dass ich sie drei Monate lang nicht benutzte. Ich dachte immer, um alle Funktionen voll ausnutzen zu können, müsste ich zuerst das Handbuch lesen. Dazu hatte ich aber natürlich nie Zeit. Der einzige Weg für mich, um mich an eine neue Kamera zu gewöhnen, ist, Fotos damit zu machen.
Denn: Tun kommt vom Tun. Wenn ich zum Beispiel keine Ahnung habe, was ich kochen soll, gehe ich, anstatt lange darüber nachzudenken, in die Küche und fange an, eine Zwiebel zu schneiden. Und bevor ich es merke, habe ich eine komplette Mahlzeit gekocht.
Wenn ich einen Artikel schreiben muss, reicht Recherche nicht aus. Ich muss einfach das Schreibprogramm öffnen und anfangen zu tippen, auch wenn ich nur „Ich weiß nicht, was ich schreiben soll“ schreibe. Das tippe ich dann so lange, bis ich tatsächlich weiß, was ich schreiben soll und einen Artikel geschrieben habe.
Und um mich an eine Kamera zu gewöhnen und meine Fotoskills zu verbessern, muss ich rausgehen und Fotos machen.
Um es kurz zu machen: Mach mehr Fotos. Fang heute an. Beobachte dich selbst dabei. So wird deine Reisefotografie respektvoller.
Hinterfrage deine Motivation.
Ruf dir nochmal die Ergebnisse deiner ersten Bildersuche ins Gedächtnis.
Frage dich: Wenn es doch schon Millionen Fotos von Wasserfällen gibt – warum machst du dann auch noch welche?
Das soll gar kein Vorwurf sein. Es geht mir darum, dass wir uns selbst beobachten. Was wollen wir mit unseren Reisefotos beweisen?
Für mich hat “das perfekte Foto” erschreckende Ähnlichkeit mit einer Jagdtrophäe.
Vielleicht kennst du die “Big Five”, die in vielen Nationalparks zu sehen sind. Der Name “Big Five” kommt nicht etwa von ihrer Größe, sondern aus der Großwildjagd zu Kolonialzeiten. Diese Tiere galten als die gefährlichsten bei der Jagd. Und so wie damals mit Gewehren auf sie gezielt wurde, halten wir heute unsere Objektive darauf.
Ich wurde gefragt, ob das nicht besser sei, denn immerhin sterben die Tiere nicht mehr. Das ist natürlich eine enorme Verbesserung.
Trotzdem können wir anhand dieses einfachen Beispiels die Beweggründe und die Entwicklung vom Reisen nachvollziehen.
Nach wie vor herrschen im Tourismus Machtverhältnisse, die auf der kolonialen Ausbeutung beruhen. Das System, von dem schon die Großwildjäger*innen profitiert haben, hilft uns Reisenden auch heute noch, solche Fotos zu machen, mit denen wir uns schmücken wie die privilegierten Menschen damals.
Oft reproduzieren wir unbewusst Fotos, die auch schon das Weltbild zu Kolonialzeiten geprägt haben. Das zeigt, dass es kaum einen Perspektivenwechsel gegeben hat. Damit reproduzieren wir auch den kolonialen Blick auf die Welt.
Beobachte dich also selbst beim Reisen, beim Schauen und beim Fotografieren und frage dich: Warum sehe ich mir genau das an? Was befindet sich außerhalb meines Blickwinkels?
Motive auf Reisen verantwortungsvoll und respektvoll fotografieren
Respektvolle Reisefotos von der Landschaft
Es gibt mehr in Afrika zu sehen als Savannen und Sonnenuntergänge (oder eben Wasserfälle und Burgen).
Das eine Bild in meiner Bildersuche mit den Hochhäusern sticht heraus. Es gibt urbane Landschaften und grüne Vororte, Autobahnen, Kleinstädte und Einkaufszentren.
Ich habe sehr wenige Fotos während meines ersten Aufenthalts in Nairobi gemacht. Dafür umso mehr auf dem Land, weil ich plötzlich dachte, das “wahre Afrika” (🤦♀️🙄‼) gefunden zu haben. Dabei war das einzige, was ich tatsächlich gefunden hatte, die Bestätigung meiner Vorurteile. Hier war alles so “exotisch”, so anders als ich es kannte, und demnach ein willkommenes Fotomotiv.
Ohne Bilder von städtischen Landschaften können wir keinen Anspruch auf ein ausgeglichenes oder gar vollständiges, repräsentatives Bild haben.
Respektvolle Reisefotos von Menschen
Bitte immer um Erlaubnis. Immer.
Und halte diese Erlaubnis nicht für selbstverständlich. Manche Menschen stimmen einem Foto zu, weil wir sie überrascht haben oder weil sie nicht unhöflich sein möchten. Das ist kein Freifahrtschein, um das Foto auch zu machen, geschweige denn zu veröffentlichen.
Respektvolle Reisefotos von Menschen beginnen beim Blickwinkel. Fotos, die von oben aufgenommen werden, lassen die fotografierte Person kleiner erscheinen und zwingt sie, nach oben zu schauen.
Wo bist du auf einem Gruppenbild positioniert?
Versuche, aus anderen Menschen keine Fotoobjekte zu machen.
Verantwortungsvoll bearbeiten
Wenn du deine Bilder digital bearbeitest, frage dich, was du abschneidest oder ausblendest und warum. Warum wählst du gerade diesen Bildausschnitt?
Schon kleine Änderungen beim Kontrast können eine flache Landschaft scharf und lebensfeindlich erscheinen lassen. Problematisch sind auch Filter, die zu Veränderungen der Hautfarben führen.
Die Grenze zwischen kultursensibler Bildverbesserung und Manipulation ist sehr schmal und ziemlich verschwommen. Sei also vorsichtig.
Respektvolle Reisefotos teilen und veröffentlichen
Dass du die Genehmigung zur Veröffentlichung der fotografierten Menschen brauchst, sollte hoffentlich klar sein. Das ist super schwierig. (Ich bin mir zum Beispiel auch bei Seiten wie Unsplash, deren kostenlose Bilder ich verwende, nicht immer sicher, ob die fotografierte Person überhaupt weiß, wo ihr Bild erscheint, geschweige denn, ob sie überhaupt damit einverstanden ist.) Für Kinder sollten beide Eltern oder Erziehungsberechtigten zustimmen.
Stell dir einfach mal vor, du findest eines Tages ein Foto von dir oder deinen Kindern, das euch ziemlich deutlich als “exotisch” oder sogar “arm” darstellt. Wie würdest du dich fühlen, wenn sich ein Meme mit einem Foto von dir im Internet verbreiten würde? (Denn diese Möglichkeit besteht ja.)
Menschen, die auf deinen Fotos zu sehen sind, sollten diese Fotos auch selbst bekommen. Während ihr wartet, dass Bluetooth die Übertragung regelt, könntet ihr zum Beispiel ins Gespräch kommen.
Respektvollevolle Bildbeschreibungen
Benenne alle Menschen auf dem Bild – oder niemanden. “Ein paar Waisenkinder und ich.” ist eine Bildunterschrift, die die Ich-Person zur Heldin und zur Hauptperson macht, während die Kinder zu Requisiten gemacht werden.
Wie wäre es mit “Die Kinder der ersten Klasse der Garden School am letzten Tag vor den Ferien.”? Versuche, Klischees auch in den Bildbeschreibungen zu vermeiden, um Menschen oder Situationen nicht abzuwerten.
Sicherheit
(Große) Kameras, Ausrüstung und Handys können eine attraktive Möglichkeit für Menschen darstellen, die sich solche Dinge nicht leisten können. Das Gefühl, ein mögliches Ziel für einen Raub zu sein, ist subjektiv und vermiest einfach jede Tour. Das solltest du bedenken, wenn du deine Ausstattung mitnimmst.
Frage deine*n Begleiter*in oder Guide, ob es ok ist, die Kamera auszupacken und überhaupt Fotos zu machen.
Regeln
Es gibt viele Orte, an denen nicht fotografiert werden darf, z.B. Regierungsgebäude oder rituelle Stätten. Wenn du nicht in Schwierigkeiten kommen willst und dir Respekt wichtig ist, dann halte dich an diese Regeln.
Reisen ohne Kamera
Auch nicht zu fotografieren ist eine bewusste Entscheidung. Am Anfang einer Reise in ein mir unbekanntes Land schwingt bei mir immer dieses leichte Unwohlsein mit. Ich habe immer Angst, etwas falsch zu machen und traue mich gar nicht, zu fotografieren. Ich habe gelernt, dass diese Sensibilität etwas Gutes ist und ich sie beibehalten kann. Meine intuitive Zurückhaltung beim Fotografieren zeigt mir einfach, dass ich über die Komplexität der respektvollen Reisefotografie Bescheid weiß.
Auch nicht zu fotografieren ist eine verantwortungsvolle Entscheidung.
Wie ein Tag ohne Fotos den Blick auf die Welt ändert
Auf unserer zweiwöchigen Indienreise habe ich 621 Fotos und Videos gemacht. Oder sagen wir: in 12 von 14 Tagen habe ich 621 Fotos und Videos gemacht. Denn einmal in der Woche habe ich mir ganz bewusst einen foto-freien Tag genommen.
Warum ich einen Tag pro Woche keine Fotos gemacht habe
Der Grund dafür ist einfach: Achtsamkeit.
An einem foto-freien Tag bin ich frei von dem Zwang, bestimmte Momente, Situationen oder Ansichten festhalten zu müssen. Ich beachte alles. Auch die Szenen, die sich nicht so gut auf einem Foto machen. Ich sehe mir zum Beispiel Autos an, die einfach genauso aussehen wie in Deutschland. Oder schön unspektakuläre Bushaltestellen. Ich achte auf die Struktur der Gehwege, die Turnschuhe der Menschen im Park, Druckereien, Ampeln, den Himmel.
An meinem foto-freien Tag bin ich so aufnahmefähig wie nie.
Und das Schönste: Mir wird wieder bewusst, dass all diese Erlebnisse nur mir gehören. Jetzt, in diesem Augenblick, sehe und erlebe ich genau diesen Ausschnitt der Welt. Niemand zuvor hat ihn je so gesehen, und niemand wird ihn je wieder so erleben, nicht einmal ich selbst.
Eigentlich ist das in jeder Sekunde so. Aber mit einer Kamera um den Hals denke ich fälschlicherweise immer, etwas einfangen und festhalten zu können. Dabei sehen die Betrachter*innen meiner Fotos oft ganz andere Dinge als die, auf die es mir ankommt. Und die Stimmung der Sekunde lässt sich sowieso selten auf einem Foto repräsentieren.
Weitere Vorteile, einen Tag lang ohne Kamera zu reisen
- Weniger Gepäck: Ohne Kamera muss ich weniger schleppen.
- Hände frei: Ich kann ein Blatt aufheben, mein Baby am Fuß kitzeln und etwas von einem Straßenstand essen, ohne Angst um meine Kamera haben zu müssen.
- Ununterbrochenes Vorankommen: Ich muss nicht ständig stehenbleiben – und meine Begleiter*innen auch nicht.
- Keine Sicherheitsbedenken: Für alle, die das mulmige Gefühl haben, ihre Kamera könnte Dieb*innen anlocken, ist ein foto-freier Tag Entspannung pur.
- Weniger digitaler Ballast: Bei meinem Durchschnitt hätte ich noch 100 Fotos mehr auf der Speicherkarte gehabt. 100 Fotos mehr zu sortieren, drucken, speichern…
Wie ich einen foto-freien Reisetag gestalte
- Fester Vorsatz: Ich nehme mir fest vor: Am Sonntag werden keine Fotos gemacht. Egal wohin es uns verschlägt oder was sich ergibt.
- Kameras verstecken: Um überhaupt gar nicht erst in Versuchung zu geraten, kommen alle Geräte, die auf irgendeine Weise Fotos machen könnten, in ihre Hüllen und Taschen und dann ganz hinten unten in den Schrank, Koffer oder Rucksack.
- Tag genießen: Es ist schwer, aber ich versuche nicht den ganzen Tag mit dem Gedanken herumzulaufen: Ach schade, das hätte jetzt ein tolles Foto gegeben. Stattdessen achte ich mit allen Sinnen auf meine Umgebung.
- Praxis hinterfragen: Ich überlege mir: Warum mache ich eigentlich Fotos? Für wen mache ich Fotos? Wer wird sie hinterher sehen? Was bilde ich ab und was nicht? Und welche Alternativen gäbe es? Wieso gibt es auf diesem Blog eigentlich keine Fotos?
Genieße respektvolle Reisefotografie
Lass dich von diesem Artikel bitte nicht abschrecken. Handle so, wie es sich für dich gut und verantwortungsvoll anfühlt und solange du merkst, dass es für die Menschen um dich herum in Ordnung ist. Übe dich darin, keine Fotos zu machen. Und dann übe dich auch darin, wieder respektvolle Reisefotos zu machen.
Was sind deine Gefühle und Tipps für respektvolle Reisefotos? Teile sie in den Kommentaren.
Das Fotografieren von Menschen ist wirklich ein wichtiges Thema, nicht nur auf Reisen. Vielen ist gar nicht bewusst, das jeder ein Recht am eigenen Bild hat und so wird fröhlich geknipst was das Zeug hält. Ich halte es lieber wie du und nehme mich erst mal zurück. Anstand ist mir wichtiger als ein cooles Bild mit zweifelhaften Bildrechten.
Du hast vollkommen recht. Ich gehe da immer hin mir selbst aus: Ich finde es ultra unangenehm, bin Fremden wahllos mit dem Handy abfotografiert zu werden. Noch schlimmer: meine Kinder! Deshalb mache ich es selbst auch nicht.
[…] habe einen ganzen Artikel zu diesem Thema geschrieben, den du hier findest. Hier sind ein paar praktische Tipps […]